Es ist Halbzeit. 11 Wochen sind rum, 11 Wochen kommen. Jeder darf sich das dazugehörige Wort, wie "schon", "erst", "noch" oder "nur" selbst aussuchen. Ich nehme "schon?". Die Zeit rennt, und es gibt noch viel zu viel zu sehen. Eine größere Reise innerhalb Kolumbiens mussten wir schon absagen, weil einfach nicht genug Zeit ist. Am 7. November geht schon der Flieger Richtung Lima, um Peru, Bolivien und Chile unsicher zu machen. Aber davon ein andermal mehr.
Seit zwei Wochen sind wir wieder daheim in Barranquilla und waren brav in der Uni. Am letzten Wochenende haben wir dann endlich mal wieder etwas ausgiebiger gefeiert (mit Whisky für 50 Euro, als Ersatz für den verpassten Zwiebelmarkt) und sonntags hatte ich ein Tischtennisturnier (jetzt habe ich einen großen Pokal, und weiß nicht wie ich den nach Deutschland transportieren soll).
Ansonsten war hier alles wie immer. Es regnet viel (die Regenzeit ist erst so richtig schlimm im Oktober und November) und Wartezeiten an irgendwelchen Straßenecken sind vorprogrammiert, weil sich die Straße mal wieder in einen reißenden Fluss voller Regenwasser verwandelt hat, den man nicht überqueren kann. Wir haben einen Park in der Nachbarschaft, der zur Hälfte weggerissen wurde und bei unserm Mitbewohner kam die halbe Decke runter, wegen dem ganzen Regen. Aber die Kolumbianer störts nicht wirklich, sie stehen mit uns an der Straßenecke und machen auch Fotos. Über ein gescheites Abwassersystem denkt niemand nach. Typisch. Trotz Regenzeit ist in unserm Nachbartort, wo der Strand ist, gutes Wetter (unglaublich, wenn hier die Welt untergeht, ist dort blauer Himmel – ich arbeite noch an einer detaillierten Erklärung), so dass wir auch mal wieder am Strand waren zwischendurch, um uns von den Reise- und Unistrapazen zu erholen.
Politisch war ein bisschen was los. Der oberste Farc Chef, Mono Jojoy, wurde umgebracht und das war ein ziemlich wichtiger Tag und eine große Nachricht hier drüben. Ob das irgendwas ändert, bleibt abzuwarten, ein paar Tage später wurde bereits ein Nachfolger präsentiert. Juan Manuel Santos (unser Präsident) sollte eigentlich am Donnerstag an unsere Uni kommen, weshalb dort der Betrieb ziemlich eingeschränkt war, musste dann aber kurzfristig nach Argentinien, um mit den andern Latino-Präsidenten über die Lage in Ecuador zu sprechen, wo einiges los war diese Woche, und der Präsident fast gestürzt wurde. Ingrid Betancourt hat ein Buch rausgebracht, aber die Kolumbianer sind nach wie vor nicht gut auf sie zu sprechen und mögen sie nicht so gern. Und in Venezuela hat Hugos Partei zwar die Parlamentswahl gewonnen, aber die Zwei-Drittel-Mehrheit verloren. Bei politischen Events, wie jetzt in Venezuela oder Ecuador, macht Kolumbien immer die Grenzen zu. Wir wollen ja keinen Stress.
Dieses Wochenende waren wir dann mal wieder unterwegs. In der Heimat unserer beiden Mitbewohner Juan David (nicht Juan Camilo, das ist unser Pate) und Lina. Die wohnen auch an der Karibikküste, aber noch mehr im Landesinneren. Das war echt mal interessant, weil sie nicht in der Großstadt wohnen und das alles nochmal etwas anders ist.
Zuerst gings vier Stunden mit dem Bus nach Mata de Caña, einem Minidörfchen aus zwei Straßen bestehen zu Linas Familie. Und das war schon krass. Hat mich etwas an die kroatischen Dörfer der Verwandtschaft erinnert teilweise. Linas Eltern haben nicht viel Geld (sie muss ihnen immer was schicken) und es gab kein fließendes Wasser. Dafür gabs dann Hühnersuppe und eine Dorfführung. Das war auf jeden Fall nochmal ein anderes Kolumbien und auch Linas Geschichte ist eine andere, als die der meisten unserer Uni-Freunde. Sie wollte studieren, aber die Eltern fanden das nicht so dolle, also ist sie in so ner Nacht-und-Nebel-Aktion mit 10 Euro in der Tasche los nach Barranquilla. Später hat der Vater die einzige Kuh verkauft, die er hatte, damit er doch Linas Studiengebühren bezahlen konnte. Und auch jetzt ist es noch so, dass Lina den ganzen Tag arbeitet, abends Vorlesungen hat und nachts lernt, um sich alles leisten zu können und auf die Reihe zu kriegen. Ganz schön krass.
Wir sind dann bald weiter zu Juans Familie nach Montería. Unsere kolumbianischen Freunde hatten uns vorher gewarnt und gesagt, dort könne man nur Rum trinken und Fernseh gucken. Ganz so schlimm wars nicht, aber das mit dem Rum (wahlweise Whisky) zu jeder Tages- und Nachtzeit kommt ungefähr hin. Sonntags konnten wir dann nicht mehr mitmachen.
Samstag waren wir in so ner Art Schwimmbad und abends was trinken und sonntags bei einem Schlammvulkan und am Strand Fischessen. Oh man der Schlammvulkan war so witzig, man konnte sich überhaupt nicht fortbewegen da drin, aber man konnte auch nicht untergehen. Bisschen astronautenmäßig (als ob ich das wüsste, hehe) und auch ein bisschen eklig, aber auf jeden Fall ne Erfahrung. Leider haben die Kolumbianer (außer Lina) bei den Aktivitäten nicht mitgemacht, sondern standen am Rand und haben geguckt, Fotos gemacht und weiter getrunken (und auch immer hartes Zeug, das heißt hier Trago, egal wie früh es war), was bei Fine und mir ein leichtes wir-sind-im-Zoo-Gefühl ausgelöst hat, aber na gut. Aber insgesamt ein schönes Wochenende (auch wenn es nicht so leicht war, zu sehen, wie unsere Mitbewohner von ihren Eltern in die Arme geschlossen wurden, nachdem sie sie zum Teil Monate nicht gesehen hatten), das wir mit unserer ersten Bus-Nachtfahrt gestern beendet haben. Da gabs dann noch mal strengere Kontrollen als sonst und wir wurden sogar gefilmt als wir im Bus saßen, also alles ganz sicher.
Diese Woche gibt’s Uni, Tischtennis und diverse kulturelle Veranstaltungen von den paar wenigen intellektuellen Freunden, die wir hier haben. Und hoffentlich weniger Whisky.
Lots of Love, Jule
PS. Neue Fotos gibt’s auch.
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