22. Oktober 2010

Freiheitsentzug für acht Euro



Es ist eine absurde Geschichte, das absurdeste, was bisher passiert ist. Die gute Nachricht: wir sind auf freiem Fuß. Und wir haben alle Bedrohungen abgewendet, können uns also auch weiterhin auf freiem Fuß bewegen. Wie schön. Aber kurz der Reihe nach.

Es gab wieder Streit mit unserer Vermieterin. Es ging um ein bisschen Geld, um unsere kaputten Klamotten, um allen möglichen Mist. Es ging soweit, dass wir gesagt haben, dass wir die letzten zwei Wochen besser ausziehen und lieber nicht mehr streiten wollen. Gesagt, getan, Koffer gepackt.

Der Haken an der Sache war, dass wir für unseren letzten Tag nicht mehr bezahlen wollten. Aus Prinzip. Wegen den kaputten Klamotten, die sie uns versprochen hatte zu ersetzen, um es sich dann anders zu überlegen und uns zusätzlich als Lügner und selbst schuld darstellen zu wollen. Es sind nur Kleinigkeiten wie diese, aber es hatte sich halt summiert. Und dann haben wir ihr gestern Abend gesagt, dass wir heute (Donnerstag) ausziehen werden. Fand sie ok, hat aber noch irgendwas gebrebelt, was wir ihr noch schulden würden. Lassen wir sie mal reden, haben wir gedacht, sie wird sich schon wieder einkriegen. Dann den ganzen Tag in der Uni gewesen und abends um halb acht wollten wir uns dann aufmachen zu ein paar Freunden, die in der Nachbarschaft wohnen und ein Zimmer frei haben. Und dann kams.

Ich bin mit meiner Tasche und meinem Rucksack zum Pförtner und wollte ein Taxi auf der Straße rufen. Und der Pförtner hat irgendwas gefaselt von wegen, er könnte mir die Tür nicht aufschließen. Ich dachte, ich hätte es falsch verstanden, keine Ahnung, das kann er ja nicht gemeint haben. Nochmal nachgefragt und im Wortlaut übersetzt hat er folgendes gesagt: "Ich habe die Anweisung von Rosa (der Vermieterin), euch nicht rauszulassen, sobald ihr mit euren Koffern und Taschen gehen wollt. Vorher müsst ihr mir das Geld für den fehlenden Tag geben." Rosa selbst war nicht da und hatte sich also mit dem Pförtner verbündet, na ganz toll. Ich konnte nicht anders und hab erstmal gelacht, gefragt ob es sein Ernst ist. Mittlerweile war auch Josefine unten angekommen und lachte mit. Da standen wir dann und durften nicht raus. Klar wir hätten den Pförtner zwingen oder überwältigen können, aber die Situation war zu bescheuert und der Arme konnte ja auch nichts dafür und hätte seine Arbeit verlieren können, wenn er sich Anweisungen "von oben" widersetzt. Also erstmal kurz überlegt, wie weit unser juristisches Fachvokabular reicht und dann erstmal Rosa angerufen.

Das Telefongespräch war denkwürdig. Gefühlte 15 Minuten hat sie mich angeschrien und beleidigt, die übelsten Beschimpfungen, teilweise konnte ich wieder nur lachen, wenn sie mich mal zu Wort hat kommen lassen, hab ich was erwidert, aber das war schwer. Das Problem ist, das Streiten auf Spanisch einfach unfair ist. Uns fehlen die entscheidenden Wörter. Es war also klar, wir müssen bezahlen und dürfen vorher nicht gehen, egal wie viel Geld sie uns für die Klamotten schuldet. Sie war an nichts schuld, wir an allem, weil wir schlechte Menschen, egoistisch, schlecht erzogen und einfach dumm wären. Alles klar, danke für das Gespräch.



Mittlerweile war auch Lina, unsere andere kolumbianische Mitbewohnerin gekommen, mit der sind wir befreundet und die hat die gleichen Probleme mit unserer Vermieterin. Ab da hat sie dann mit Rosa kommuniziert, der Portero blieb bei seiner "ich-darf-euch-aber-nicht-raus-lassen-Meinung", wir bei unserer "wir-werden-nicht-bezahlen-und-was-ihr-hier-macht-ist-übrigens-illegal-Einstellung". Es ging hin und her wie beim Tischtennis, Rosa und Lina haben sich gestritten, Rosa hat die absurdesten Dinge vorgeschlagen, was wir alles unterschreiben sollen und dass sie unsere T-Shirts fotografieren will, und wir standen da und doch gleichzeitig im Wald. Es ging nicht um die 20.000 Pesos, die wir jeder bezahlen sollten (acht Euro), sondern nur ums Prinzip. Sie war stur, wir waren stur. Das kann man nur verstehen, wenn man ihren Hintergrund kennt und weiß was hier so ablief und auch immer noch abläuft mit anderen. Das ist jetzt zu viel zum Schreiben. Erzähl ich daheim.

Blöderweise hat sie ihr letztes Gespräch mit Lina mit den Worten "dann werde ich jetzt halt meine Freunde anrufen" beendet, und da hats uns dann doch kurz gereicht. Kurzer Anflug von Angst, kurz die Bilder im Kopf wie Rosas Assi-Freunde uns auflauern. Ich hab die Kolumbianer gefragt, was uns denn passieren könnte, aber die waren entspannt und haben gesagt, dass wir keine Angst haben müssen.

Nächster Schritt war dann, dass wir zur Polizei gegangen sind, damit die uns helfen. Leichter Widerspruch, die Polizei ist hier eher so vom Typ "da kann ich jetzt auch nichts machen", aber wir dachten bei Freiheitsberaubung könnten wir schon mal Bescheid sagen. Ohne Koffer durften wir ja raus und mit Juan und Lina sind wir dann los. Habens der Polizeistation um der Ecke erklärt, die wollten jemanden schicken. Nicht jedoch ohne uns zu fragen ob wir Deutschen denn grundsätzlich nicht so auf Latinos stehen oder obs da Verbote gäbe, was Hautfarbe und Hochzeit in Deutschland betrifft. Hä? Die Polizisten hatten also ganz andere Sorgen, haben uns aber auch bestätigt, dass Vorfälle wie der unsrige schon öfter bei Rosa passiert wären.

Wieder daheim war dann die Polizei da, ein Freund von Lina von der Staatsanwaltschaft, unser Pate Juan, der Rest unserer WG, Rosa und unsere nervige Nachbarin sowie der Pförtner. Rosa hat sich dann versucht zu erklären, hat uns vor der Polizei als Lügner bezeichnet, uns wieder nicht ausreden lassen und gesagt, wir würden ja quasi eh kein Spanisch verstehen. Alles klar.



Ende vom Lied, weil ich jetzt schlafen gehen muss, war dann, dass es Lina zu bunt wurde und sie gesagt hat, dass wir jetzt einfach bezahlen und alle gehen. So nach dem Motto "der Klügere gibt nach". Dieses Motto kannte Rosa leider nicht, sie hat mit den Geldscheinen rumgewedelt und für sich das Motto "seht ihr, ich hatte ja doch Recht" ausgesucht. Lächerlich. Schade, dass wie also den Streit "verloren" haben, ich dachte wir würden einfach gehen ohne zu bezahlen, vor der Polizei hätte sie uns ja nix antun können. Aber na gut, die wussten auch nicht, was sie machen sollen. Haben uns vorgeschlagen doch die neue Adresse auszutauschen, damit wir das später noch regeln können. Ich hab dann erklärt, dass die Frau uns bedroht hatte und ich nicht weiß welche Ausmaße das in Kolumbien annehmen kann (Vorurteile, juchee!) und das letzte was diese Frau von mir bekommen würde, meine Adresse wäre. Hat Rosa wieder geleugnet, dass sie uns bedroht hätte. So ging das halt die ganze Zeit, egal ob am Telefon oder persönlich, Hauptsache alles so drehen und wenden, wie mans braucht.

Wir wohnen jetzt woanders, sind noch leicht schockiert und durch den Wind und haben unseren Ausflug in die Wüste um einen Tag verschoben. Lina ist noch in der gleichen Nacht ausgezogen (die Polizei musste nochmal kommen, gleiches Lied quasi), Juan zieht nächste Woche aus.

Ich kann leider nicht alles detailgetreu wiedergeben, es war zu viel und zu krass was für Worte gefallen sind. Es sind auf jeden Fall auch genug Tränen (der Wut) geflossen, aber jetzt ist alles ok. Das ist chaotisch geschrieben, aber egal, schreiben war gut, alles wichtige gibt’s dann persönlich.

Die Adresse für Briefbomben steht ja noch in einem Eintrag weiter unten.

Es lebe die Freiheit! Hurra!