31. Oktober 2010
Sand in den Schuhen am Ende der Welt
Einmal ans Ende der Welt und wieder zurück. Das war das letzte Wochenende. Zumindest hat es sich so angefühlt. Wenn man im Reiseführer über die "Guajira" liest, ist man nicht sicher ob man wirklich hinmöchte. Nicht für jeden soll es sein, und eher speziell. Dort leben eigentlich nur Indios, die Wayuu, und es ist viel zu heiß und die Anreise viel zu strapaziös. Hört sich super an, haben wir uns gedacht und sind mal los. Und es hat sich sowas von gelohnt.
Nach der ganzen Rosa-Geschichte mussten wir unsere Abreise auf Samstag verschieben und haben erstmal zehn Stunden im Bus nach Riohacha gebraucht. Die Stadt ist eigentlich so fünf Stunden höchstens entfernt und stellte quasi den Ausgangspunkt der Reise da, von dem aus wir am gleichen Tag noch weiter wollten. Leider wollte das Busunternehmen, dass wir noch eine Nacht in Riohacha bleiben in einem Hotel, wo das Bad keine Tür und Klo keine Brille hatte. Aber na gut...
Das Busunternehmen wollte nämlich zuerst mehrere Matratzen und ein Bettgestell transportieren, was es trotz dem lautstarken Protest der Kolumbianer auch gemacht hat (die fanden das gefährlich und wollten ihr Geld zurück). Außerdem fanden der Busfahrer und die dazugehörigen Schaffner, dass sie sich nach einem kleinen Teil der Strecke erstmal ein einstündiges Mittagessen verdient hatten. Nach zehn schweißtreibenden Stunden, mehreren Horrorfilmen (Kolumbianer gucken immer schlimme Filme im Bus, egal wie viele Kinder mitfahren), waren wir also in Riohacha. Das ging ja gut los.
Am nächsten Tag dann weiter nach Uribia und von dort aus ans Ende der Welt. Zumindest für diesen Tag. Cabo de la Vela heißt der Ort, der aus einer Straße besteht, mit ein paar Holzverschlägen und Hängematten, von denen aus man direkt ins Meer fällt. Die Fahrt im Jeep dorthin ging querfeldein zwischen Kakteen hindurch und zwei Mal sind wir im Schlamm stecken geblieben, aber der Fahrer hatte es im Griff.
In Cabo de la Vela haben wir Gott sei Dank ein Franzosen-Ehepärchen und drei andere Backpacker kennengelernt, die mit uns noch weiter ans noch endigere Ende der Welt fahren wollten. Da muss man nämlich mit dem Boot drei Stunden übers Meer und das Boot kostet über 300 Euro, und je mehr Leute mitfahren, desto billiger, klar. Klar wurde uns auch am nächsten Morgen, warum das so teuer ist. Quasi die Lebensversicherung für den Kapitän und seinen einen Matrosen. Auf der Nussschale von Boot gab es leider auch nur für die Besatzung Rettungswesten, aber Europäer können ja bekanntermaßen alle schwimmen.
Nach drei Stunden, hohen Wellen und durch und durch nass (deswegen gibt es auch keine Fots von der Überfahrt) kamen wir gut gelaunt in Punta Gallinas, dem nördlichsten Punkt Südamerikas, an. Dort leben die Wayuu, das einzige Volk in Südamerika, das nie von Spaniern regiert wurde und sich immer selbst verteidigt hat. Sie sprechen eine andere Sprache, ziehen sich anders an, haben eigene Gesetze und leben in der Guajira mit ihren Ziegen.
Bei den Wayuu haben wir dann gewohnt, in bequemen Hängematten geschlafen, es gab Langusten zu essen und sie haben uns noch weiter in die Wüste gefahren (Die ganze Guajira ist so wüstenmäßig, aber weil Regenzeit ist, war es relativ grün. Geographisch korrekt, wäre das ganze wohl eher eine Savanne, aber unter Wüste könnt ihr euch mehr vorstellen). Wir waren dann bei so Dünen am Meer und die Fahrt war wieder durchs Nichts, zwischen den Kakteen und ein paar Ziegenskeletten hindurch. Es hat sich angefühlt, als ob man jetzt wirklich angekommen wäre und es ab hier nicht mehr weitergeht. Nirgends wohin. Die Landschaft, die wir das ganze Wochenende gesehen haben, war unglaublich und unbeschreiblich. Deswegen lieber ein paar Bilder:
Die Strapazen haben sich absolut gelohnt (die Rückfahrt war quasi genauso anstrengend) und es war das beeindruckendste was ich bisher gesehen habe. Vor allem, weil sich einfach keine Menschenseel dorthin verirrt, außer ein paar bekloppten Deutschen und Franzosen. Wahnsinn. Und schwer in Worte zu fassen. Muss mal selber sehen. Ein bisschen Aladin-mäßig, ein bisschen Sahara, ein bisschen mysteriös. Ich kann es nicht sagen. Mittlerweile haben wir alle Klamotten wieder entsandet und die Rucksäcke entmatscht. Ein gutes Gefühl. Die Bilder haben wir im Kopf. Ein noch viel besseres Gefühl.
Diese Woche ist unsere letzte Uniwoche und dementsprechend gibt es viel zu tun. In unserer neuen Bleibe ist alles gut und die Rosa-Sache haben wir ganz gut verarbeitet. Die Mordgedanken kommen jetzt nur noch jeden zweiten Tag.
Ende der Woche melde ich mich nochmal mit den Details über die bevorstehende Reise. Bis dahin. Un beso!
PS. Neue Fotos gibts auch. Sind alle etwas sanding und viele gleich, aber ich konnte nicht aufhören Bilder zu machen.
22. Oktober 2010
Freiheitsentzug für acht Euro
Es ist eine absurde Geschichte, das absurdeste, was bisher passiert ist. Die gute Nachricht: wir sind auf freiem Fuß. Und wir haben alle Bedrohungen abgewendet, können uns also auch weiterhin auf freiem Fuß bewegen. Wie schön. Aber kurz der Reihe nach.
Es gab wieder Streit mit unserer Vermieterin. Es ging um ein bisschen Geld, um unsere kaputten Klamotten, um allen möglichen Mist. Es ging soweit, dass wir gesagt haben, dass wir die letzten zwei Wochen besser ausziehen und lieber nicht mehr streiten wollen. Gesagt, getan, Koffer gepackt.
Der Haken an der Sache war, dass wir für unseren letzten Tag nicht mehr bezahlen wollten. Aus Prinzip. Wegen den kaputten Klamotten, die sie uns versprochen hatte zu ersetzen, um es sich dann anders zu überlegen und uns zusätzlich als Lügner und selbst schuld darstellen zu wollen. Es sind nur Kleinigkeiten wie diese, aber es hatte sich halt summiert. Und dann haben wir ihr gestern Abend gesagt, dass wir heute (Donnerstag) ausziehen werden. Fand sie ok, hat aber noch irgendwas gebrebelt, was wir ihr noch schulden würden. Lassen wir sie mal reden, haben wir gedacht, sie wird sich schon wieder einkriegen. Dann den ganzen Tag in der Uni gewesen und abends um halb acht wollten wir uns dann aufmachen zu ein paar Freunden, die in der Nachbarschaft wohnen und ein Zimmer frei haben. Und dann kams.
Ich bin mit meiner Tasche und meinem Rucksack zum Pförtner und wollte ein Taxi auf der Straße rufen. Und der Pförtner hat irgendwas gefaselt von wegen, er könnte mir die Tür nicht aufschließen. Ich dachte, ich hätte es falsch verstanden, keine Ahnung, das kann er ja nicht gemeint haben. Nochmal nachgefragt und im Wortlaut übersetzt hat er folgendes gesagt: "Ich habe die Anweisung von Rosa (der Vermieterin), euch nicht rauszulassen, sobald ihr mit euren Koffern und Taschen gehen wollt. Vorher müsst ihr mir das Geld für den fehlenden Tag geben." Rosa selbst war nicht da und hatte sich also mit dem Pförtner verbündet, na ganz toll. Ich konnte nicht anders und hab erstmal gelacht, gefragt ob es sein Ernst ist. Mittlerweile war auch Josefine unten angekommen und lachte mit. Da standen wir dann und durften nicht raus. Klar wir hätten den Pförtner zwingen oder überwältigen können, aber die Situation war zu bescheuert und der Arme konnte ja auch nichts dafür und hätte seine Arbeit verlieren können, wenn er sich Anweisungen "von oben" widersetzt. Also erstmal kurz überlegt, wie weit unser juristisches Fachvokabular reicht und dann erstmal Rosa angerufen.
Das Telefongespräch war denkwürdig. Gefühlte 15 Minuten hat sie mich angeschrien und beleidigt, die übelsten Beschimpfungen, teilweise konnte ich wieder nur lachen, wenn sie mich mal zu Wort hat kommen lassen, hab ich was erwidert, aber das war schwer. Das Problem ist, das Streiten auf Spanisch einfach unfair ist. Uns fehlen die entscheidenden Wörter. Es war also klar, wir müssen bezahlen und dürfen vorher nicht gehen, egal wie viel Geld sie uns für die Klamotten schuldet. Sie war an nichts schuld, wir an allem, weil wir schlechte Menschen, egoistisch, schlecht erzogen und einfach dumm wären. Alles klar, danke für das Gespräch.
Mittlerweile war auch Lina, unsere andere kolumbianische Mitbewohnerin gekommen, mit der sind wir befreundet und die hat die gleichen Probleme mit unserer Vermieterin. Ab da hat sie dann mit Rosa kommuniziert, der Portero blieb bei seiner "ich-darf-euch-aber-nicht-raus-lassen-Meinung", wir bei unserer "wir-werden-nicht-bezahlen-und-was-ihr-hier-macht-ist-übrigens-illegal-Einstellung". Es ging hin und her wie beim Tischtennis, Rosa und Lina haben sich gestritten, Rosa hat die absurdesten Dinge vorgeschlagen, was wir alles unterschreiben sollen und dass sie unsere T-Shirts fotografieren will, und wir standen da und doch gleichzeitig im Wald. Es ging nicht um die 20.000 Pesos, die wir jeder bezahlen sollten (acht Euro), sondern nur ums Prinzip. Sie war stur, wir waren stur. Das kann man nur verstehen, wenn man ihren Hintergrund kennt und weiß was hier so ablief und auch immer noch abläuft mit anderen. Das ist jetzt zu viel zum Schreiben. Erzähl ich daheim.
Blöderweise hat sie ihr letztes Gespräch mit Lina mit den Worten "dann werde ich jetzt halt meine Freunde anrufen" beendet, und da hats uns dann doch kurz gereicht. Kurzer Anflug von Angst, kurz die Bilder im Kopf wie Rosas Assi-Freunde uns auflauern. Ich hab die Kolumbianer gefragt, was uns denn passieren könnte, aber die waren entspannt und haben gesagt, dass wir keine Angst haben müssen.
Nächster Schritt war dann, dass wir zur Polizei gegangen sind, damit die uns helfen. Leichter Widerspruch, die Polizei ist hier eher so vom Typ "da kann ich jetzt auch nichts machen", aber wir dachten bei Freiheitsberaubung könnten wir schon mal Bescheid sagen. Ohne Koffer durften wir ja raus und mit Juan und Lina sind wir dann los. Habens der Polizeistation um der Ecke erklärt, die wollten jemanden schicken. Nicht jedoch ohne uns zu fragen ob wir Deutschen denn grundsätzlich nicht so auf Latinos stehen oder obs da Verbote gäbe, was Hautfarbe und Hochzeit in Deutschland betrifft. Hä? Die Polizisten hatten also ganz andere Sorgen, haben uns aber auch bestätigt, dass Vorfälle wie der unsrige schon öfter bei Rosa passiert wären.
Wieder daheim war dann die Polizei da, ein Freund von Lina von der Staatsanwaltschaft, unser Pate Juan, der Rest unserer WG, Rosa und unsere nervige Nachbarin sowie der Pförtner. Rosa hat sich dann versucht zu erklären, hat uns vor der Polizei als Lügner bezeichnet, uns wieder nicht ausreden lassen und gesagt, wir würden ja quasi eh kein Spanisch verstehen. Alles klar.
Ende vom Lied, weil ich jetzt schlafen gehen muss, war dann, dass es Lina zu bunt wurde und sie gesagt hat, dass wir jetzt einfach bezahlen und alle gehen. So nach dem Motto "der Klügere gibt nach". Dieses Motto kannte Rosa leider nicht, sie hat mit den Geldscheinen rumgewedelt und für sich das Motto "seht ihr, ich hatte ja doch Recht" ausgesucht. Lächerlich. Schade, dass wie also den Streit "verloren" haben, ich dachte wir würden einfach gehen ohne zu bezahlen, vor der Polizei hätte sie uns ja nix antun können. Aber na gut, die wussten auch nicht, was sie machen sollen. Haben uns vorgeschlagen doch die neue Adresse auszutauschen, damit wir das später noch regeln können. Ich hab dann erklärt, dass die Frau uns bedroht hatte und ich nicht weiß welche Ausmaße das in Kolumbien annehmen kann (Vorurteile, juchee!) und das letzte was diese Frau von mir bekommen würde, meine Adresse wäre. Hat Rosa wieder geleugnet, dass sie uns bedroht hätte. So ging das halt die ganze Zeit, egal ob am Telefon oder persönlich, Hauptsache alles so drehen und wenden, wie mans braucht.
Wir wohnen jetzt woanders, sind noch leicht schockiert und durch den Wind und haben unseren Ausflug in die Wüste um einen Tag verschoben. Lina ist noch in der gleichen Nacht ausgezogen (die Polizei musste nochmal kommen, gleiches Lied quasi), Juan zieht nächste Woche aus.
Ich kann leider nicht alles detailgetreu wiedergeben, es war zu viel und zu krass was für Worte gefallen sind. Es sind auf jeden Fall auch genug Tränen (der Wut) geflossen, aber jetzt ist alles ok. Das ist chaotisch geschrieben, aber egal, schreiben war gut, alles wichtige gibt’s dann persönlich.
Die Adresse für Briefbomben steht ja noch in einem Eintrag weiter unten.
Es lebe die Freiheit! Hurra!
19. Oktober 2010
Jenseits von Afrika?
Afrika? Liegt eigentlich ziemlich weit weg. Ungefähr 12.000 Kilometer Luftlinie auf dem gleichen Breitengrad liegen der Sudan, Äthiopien, Nigeria oder Kamerun. Aber Afrika ist trotzdem ganz nah. Die Sklaven, die ab dem 16. Jahrhundert von Afrika nach Amerika gebracht wurden, haben die karibische Küste in Süd- und Mittelamerika stark beeinflusst. Über die Hautfarbe und die Sprache, bis zur Musik, den Tänzen und kulinarischen Besonderheiten, ist an der Küste noch mal einiges anders, als im Landesinnern. Das gilt für Kolumbien, genauso wie für Costa Rica und andere Länder.
Am Wochenende waren wir in Palenque, einem kleinen Dorf in der Nähe von Cartagena, auf dem Festival de Tambores (Trommel-Festival). Palenque war das erste freie afrikanische Dorf in Kolumbien, die Einwohner sind im 17. Jahrhundert aus Cartagena geflohen und haben ein Dorf gegründet. Dort fühlt man sich wie in Afrika (gut, ich war noch nie in Afrika, aber ich denke, man könnte sich dort so fühlen).
Nachdem wir das letzte Wochenende hier verbracht hatten, wurde es mal wieder Zeit für einen kleinen Ausflug. Mit drei kolumbianischen Freunden gings am Sonntagmorgen los Richtung Westen. Nach einem Zwischenstopp am Strand, wo wir kurz gebadet haben und nach endlosem durchfragen sind wir nachmittags in besagtem Palenque angekommen.
Ein Mini-Dorf, alle waren am tanzen und am feiern, überall gab es Stände mit Essen und es war gute Laune überall. Wir haben dann die Aufführungen angeguckt und mitgefeiert. Sollten eigentlich bei Freunden von dem einen Kolumbianer in der Hängematte schlafen, aber leider gab es nur eine Hängematte und außerdem sollte im Morgengrauen eine Kuh dort im Haus geschlachtet werden. Wir sind dann doch in ein ziemlich gammeliges Hotel, was zusätzlich den Vorteil des fließenden Wassers hatte, leider den Nachteil von vielen kleinen Ameisen im Bett hatte. Aber na gut, macht ja nix. Auf jeden Fall eine coole Erfahrung und ein absoluter Geheimtipp fernab von allen Reiseführern, das Festival de Tambores. Auf dem Rückweg haben wir noch einen Zwischenstopp in Cartagena gemacht, an unserem Lieblingsplatz rumgehangen und ein bisschen aufs Meer geguckt, dann gings auch schon zurück in die Heimat.
Sonst standen die letzten zwei Wochen tatsächlich, man mag es kaum glauben, im Zeichen der Uni. Da das Semester sich dem Ende neigt, müssen wir sowas wie Abschlussarbeiten in unseren Kursen machen. Also sind wir tatsächlich manchmal in der Bibliothek. Das Niveau in der Uni wird von Woche zu Woche niedriger (auch in anfangs guten Kursen) und teilweise können wir über den "Unterricht" nur den Kopf schütteln. Die Kolumbianer finden das aber normal, klar sie kennen es auch nicht anders. Egal, noch drei Wochen Uni und dann geht’s ja eh los.
Ansonsten gabs ein bisschen Kultur in den letzten Tagen. Da wir ein paar intellektuelle Freunde haben, mit denen wir jetzt auch auf dem Festival waren, wissen wir immer was grad so los ist in der Stadt. Anfangs dachten wir ja, dass es hier sowas nicht gibt, aber letzte Woche waren wir auf der Ausstellung von einem befreundeten Maler und am Samstag bei einer Open-Air Veranstaltung, wo verschiedene Künstler, u.a. ein befreundeter Komödiant, aufgetreten sind.
Diese Woche hat nur drei Tage für uns, in denen wir auch ziemlich viel für die Uni machen müssen. Am Freitag geht’s dann hoffentlich in die Wüste, in die Guajira, quasi der östliche Zipfel Kolumbiens. Dort sind wir bis Dienstag, dann melde ich mich wieder.
Bis dahin, Gruß und Kuss
PS. Neue Fotos gibt’s auch.
PPS. Einen guten Semesterstart für alle!
PPPS. Zum Abschluss noch zwei schöne Fotos, mit unserer neuen kreativen Methode, die Wäsche zu trocknen und einem neuerlichen, aufregenden Fund aus unserem Kühlschrank.
4. Oktober 2010
Halbzeit, Heimat, harte Tragos
Es ist Halbzeit. 11 Wochen sind rum, 11 Wochen kommen. Jeder darf sich das dazugehörige Wort, wie "schon", "erst", "noch" oder "nur" selbst aussuchen. Ich nehme "schon?". Die Zeit rennt, und es gibt noch viel zu viel zu sehen. Eine größere Reise innerhalb Kolumbiens mussten wir schon absagen, weil einfach nicht genug Zeit ist. Am 7. November geht schon der Flieger Richtung Lima, um Peru, Bolivien und Chile unsicher zu machen. Aber davon ein andermal mehr.
Seit zwei Wochen sind wir wieder daheim in Barranquilla und waren brav in der Uni. Am letzten Wochenende haben wir dann endlich mal wieder etwas ausgiebiger gefeiert (mit Whisky für 50 Euro, als Ersatz für den verpassten Zwiebelmarkt) und sonntags hatte ich ein Tischtennisturnier (jetzt habe ich einen großen Pokal, und weiß nicht wie ich den nach Deutschland transportieren soll).
Ansonsten war hier alles wie immer. Es regnet viel (die Regenzeit ist erst so richtig schlimm im Oktober und November) und Wartezeiten an irgendwelchen Straßenecken sind vorprogrammiert, weil sich die Straße mal wieder in einen reißenden Fluss voller Regenwasser verwandelt hat, den man nicht überqueren kann. Wir haben einen Park in der Nachbarschaft, der zur Hälfte weggerissen wurde und bei unserm Mitbewohner kam die halbe Decke runter, wegen dem ganzen Regen. Aber die Kolumbianer störts nicht wirklich, sie stehen mit uns an der Straßenecke und machen auch Fotos. Über ein gescheites Abwassersystem denkt niemand nach. Typisch. Trotz Regenzeit ist in unserm Nachbartort, wo der Strand ist, gutes Wetter (unglaublich, wenn hier die Welt untergeht, ist dort blauer Himmel – ich arbeite noch an einer detaillierten Erklärung), so dass wir auch mal wieder am Strand waren zwischendurch, um uns von den Reise- und Unistrapazen zu erholen.
Politisch war ein bisschen was los. Der oberste Farc Chef, Mono Jojoy, wurde umgebracht und das war ein ziemlich wichtiger Tag und eine große Nachricht hier drüben. Ob das irgendwas ändert, bleibt abzuwarten, ein paar Tage später wurde bereits ein Nachfolger präsentiert. Juan Manuel Santos (unser Präsident) sollte eigentlich am Donnerstag an unsere Uni kommen, weshalb dort der Betrieb ziemlich eingeschränkt war, musste dann aber kurzfristig nach Argentinien, um mit den andern Latino-Präsidenten über die Lage in Ecuador zu sprechen, wo einiges los war diese Woche, und der Präsident fast gestürzt wurde. Ingrid Betancourt hat ein Buch rausgebracht, aber die Kolumbianer sind nach wie vor nicht gut auf sie zu sprechen und mögen sie nicht so gern. Und in Venezuela hat Hugos Partei zwar die Parlamentswahl gewonnen, aber die Zwei-Drittel-Mehrheit verloren. Bei politischen Events, wie jetzt in Venezuela oder Ecuador, macht Kolumbien immer die Grenzen zu. Wir wollen ja keinen Stress.
Dieses Wochenende waren wir dann mal wieder unterwegs. In der Heimat unserer beiden Mitbewohner Juan David (nicht Juan Camilo, das ist unser Pate) und Lina. Die wohnen auch an der Karibikküste, aber noch mehr im Landesinneren. Das war echt mal interessant, weil sie nicht in der Großstadt wohnen und das alles nochmal etwas anders ist.
Zuerst gings vier Stunden mit dem Bus nach Mata de Caña, einem Minidörfchen aus zwei Straßen bestehen zu Linas Familie. Und das war schon krass. Hat mich etwas an die kroatischen Dörfer der Verwandtschaft erinnert teilweise. Linas Eltern haben nicht viel Geld (sie muss ihnen immer was schicken) und es gab kein fließendes Wasser. Dafür gabs dann Hühnersuppe und eine Dorfführung. Das war auf jeden Fall nochmal ein anderes Kolumbien und auch Linas Geschichte ist eine andere, als die der meisten unserer Uni-Freunde. Sie wollte studieren, aber die Eltern fanden das nicht so dolle, also ist sie in so ner Nacht-und-Nebel-Aktion mit 10 Euro in der Tasche los nach Barranquilla. Später hat der Vater die einzige Kuh verkauft, die er hatte, damit er doch Linas Studiengebühren bezahlen konnte. Und auch jetzt ist es noch so, dass Lina den ganzen Tag arbeitet, abends Vorlesungen hat und nachts lernt, um sich alles leisten zu können und auf die Reihe zu kriegen. Ganz schön krass.
Wir sind dann bald weiter zu Juans Familie nach Montería. Unsere kolumbianischen Freunde hatten uns vorher gewarnt und gesagt, dort könne man nur Rum trinken und Fernseh gucken. Ganz so schlimm wars nicht, aber das mit dem Rum (wahlweise Whisky) zu jeder Tages- und Nachtzeit kommt ungefähr hin. Sonntags konnten wir dann nicht mehr mitmachen.
Samstag waren wir in so ner Art Schwimmbad und abends was trinken und sonntags bei einem Schlammvulkan und am Strand Fischessen. Oh man der Schlammvulkan war so witzig, man konnte sich überhaupt nicht fortbewegen da drin, aber man konnte auch nicht untergehen. Bisschen astronautenmäßig (als ob ich das wüsste, hehe) und auch ein bisschen eklig, aber auf jeden Fall ne Erfahrung. Leider haben die Kolumbianer (außer Lina) bei den Aktivitäten nicht mitgemacht, sondern standen am Rand und haben geguckt, Fotos gemacht und weiter getrunken (und auch immer hartes Zeug, das heißt hier Trago, egal wie früh es war), was bei Fine und mir ein leichtes wir-sind-im-Zoo-Gefühl ausgelöst hat, aber na gut. Aber insgesamt ein schönes Wochenende (auch wenn es nicht so leicht war, zu sehen, wie unsere Mitbewohner von ihren Eltern in die Arme geschlossen wurden, nachdem sie sie zum Teil Monate nicht gesehen hatten), das wir mit unserer ersten Bus-Nachtfahrt gestern beendet haben. Da gabs dann noch mal strengere Kontrollen als sonst und wir wurden sogar gefilmt als wir im Bus saßen, also alles ganz sicher.
Diese Woche gibt’s Uni, Tischtennis und diverse kulturelle Veranstaltungen von den paar wenigen intellektuellen Freunden, die wir hier haben. Und hoffentlich weniger Whisky.
Lots of Love, Jule
PS. Neue Fotos gibt’s auch.
Seit zwei Wochen sind wir wieder daheim in Barranquilla und waren brav in der Uni. Am letzten Wochenende haben wir dann endlich mal wieder etwas ausgiebiger gefeiert (mit Whisky für 50 Euro, als Ersatz für den verpassten Zwiebelmarkt) und sonntags hatte ich ein Tischtennisturnier (jetzt habe ich einen großen Pokal, und weiß nicht wie ich den nach Deutschland transportieren soll).
Ansonsten war hier alles wie immer. Es regnet viel (die Regenzeit ist erst so richtig schlimm im Oktober und November) und Wartezeiten an irgendwelchen Straßenecken sind vorprogrammiert, weil sich die Straße mal wieder in einen reißenden Fluss voller Regenwasser verwandelt hat, den man nicht überqueren kann. Wir haben einen Park in der Nachbarschaft, der zur Hälfte weggerissen wurde und bei unserm Mitbewohner kam die halbe Decke runter, wegen dem ganzen Regen. Aber die Kolumbianer störts nicht wirklich, sie stehen mit uns an der Straßenecke und machen auch Fotos. Über ein gescheites Abwassersystem denkt niemand nach. Typisch. Trotz Regenzeit ist in unserm Nachbartort, wo der Strand ist, gutes Wetter (unglaublich, wenn hier die Welt untergeht, ist dort blauer Himmel – ich arbeite noch an einer detaillierten Erklärung), so dass wir auch mal wieder am Strand waren zwischendurch, um uns von den Reise- und Unistrapazen zu erholen.
Politisch war ein bisschen was los. Der oberste Farc Chef, Mono Jojoy, wurde umgebracht und das war ein ziemlich wichtiger Tag und eine große Nachricht hier drüben. Ob das irgendwas ändert, bleibt abzuwarten, ein paar Tage später wurde bereits ein Nachfolger präsentiert. Juan Manuel Santos (unser Präsident) sollte eigentlich am Donnerstag an unsere Uni kommen, weshalb dort der Betrieb ziemlich eingeschränkt war, musste dann aber kurzfristig nach Argentinien, um mit den andern Latino-Präsidenten über die Lage in Ecuador zu sprechen, wo einiges los war diese Woche, und der Präsident fast gestürzt wurde. Ingrid Betancourt hat ein Buch rausgebracht, aber die Kolumbianer sind nach wie vor nicht gut auf sie zu sprechen und mögen sie nicht so gern. Und in Venezuela hat Hugos Partei zwar die Parlamentswahl gewonnen, aber die Zwei-Drittel-Mehrheit verloren. Bei politischen Events, wie jetzt in Venezuela oder Ecuador, macht Kolumbien immer die Grenzen zu. Wir wollen ja keinen Stress.
Dieses Wochenende waren wir dann mal wieder unterwegs. In der Heimat unserer beiden Mitbewohner Juan David (nicht Juan Camilo, das ist unser Pate) und Lina. Die wohnen auch an der Karibikküste, aber noch mehr im Landesinneren. Das war echt mal interessant, weil sie nicht in der Großstadt wohnen und das alles nochmal etwas anders ist.
Zuerst gings vier Stunden mit dem Bus nach Mata de Caña, einem Minidörfchen aus zwei Straßen bestehen zu Linas Familie. Und das war schon krass. Hat mich etwas an die kroatischen Dörfer der Verwandtschaft erinnert teilweise. Linas Eltern haben nicht viel Geld (sie muss ihnen immer was schicken) und es gab kein fließendes Wasser. Dafür gabs dann Hühnersuppe und eine Dorfführung. Das war auf jeden Fall nochmal ein anderes Kolumbien und auch Linas Geschichte ist eine andere, als die der meisten unserer Uni-Freunde. Sie wollte studieren, aber die Eltern fanden das nicht so dolle, also ist sie in so ner Nacht-und-Nebel-Aktion mit 10 Euro in der Tasche los nach Barranquilla. Später hat der Vater die einzige Kuh verkauft, die er hatte, damit er doch Linas Studiengebühren bezahlen konnte. Und auch jetzt ist es noch so, dass Lina den ganzen Tag arbeitet, abends Vorlesungen hat und nachts lernt, um sich alles leisten zu können und auf die Reihe zu kriegen. Ganz schön krass.
Wir sind dann bald weiter zu Juans Familie nach Montería. Unsere kolumbianischen Freunde hatten uns vorher gewarnt und gesagt, dort könne man nur Rum trinken und Fernseh gucken. Ganz so schlimm wars nicht, aber das mit dem Rum (wahlweise Whisky) zu jeder Tages- und Nachtzeit kommt ungefähr hin. Sonntags konnten wir dann nicht mehr mitmachen.
Samstag waren wir in so ner Art Schwimmbad und abends was trinken und sonntags bei einem Schlammvulkan und am Strand Fischessen. Oh man der Schlammvulkan war so witzig, man konnte sich überhaupt nicht fortbewegen da drin, aber man konnte auch nicht untergehen. Bisschen astronautenmäßig (als ob ich das wüsste, hehe) und auch ein bisschen eklig, aber auf jeden Fall ne Erfahrung. Leider haben die Kolumbianer (außer Lina) bei den Aktivitäten nicht mitgemacht, sondern standen am Rand und haben geguckt, Fotos gemacht und weiter getrunken (und auch immer hartes Zeug, das heißt hier Trago, egal wie früh es war), was bei Fine und mir ein leichtes wir-sind-im-Zoo-Gefühl ausgelöst hat, aber na gut. Aber insgesamt ein schönes Wochenende (auch wenn es nicht so leicht war, zu sehen, wie unsere Mitbewohner von ihren Eltern in die Arme geschlossen wurden, nachdem sie sie zum Teil Monate nicht gesehen hatten), das wir mit unserer ersten Bus-Nachtfahrt gestern beendet haben. Da gabs dann noch mal strengere Kontrollen als sonst und wir wurden sogar gefilmt als wir im Bus saßen, also alles ganz sicher.
Diese Woche gibt’s Uni, Tischtennis und diverse kulturelle Veranstaltungen von den paar wenigen intellektuellen Freunden, die wir hier haben. Und hoffentlich weniger Whisky.
Lots of Love, Jule
PS. Neue Fotos gibt’s auch.